Mittwoch, 21. August 2019
Naivität a la mode von Jean-Paul
Jean-Paul, der Historische ist gemeint, Ängste und Gespenster waren das Erbe seiner Kindheit. Sein Vater, der Herr Pfarrer, hat ihm damit gedroht. Die Gespenster, das Unerklärliche, Irrationale lag in der Zeit, die auch „schwarze“ Romantik genannt wurde und der Aufklärung folgte. Seine Perspektive vom Himmel in die Hölle und zurück mit ausgiebigen Zwischenstopp im Alltäglichen war seine ganz eigene Antwort darauf.

Goethe; ETA Hoffmann, Grabbe tragen die Spuren der „schwarzen Romantik in sich und an sich. Eine Gegen-Bewegung gegen aufgeklärte Aufklärung und Selbst-Ermächtigung der Aufklärer. Dagegen hilft nur die Liebe fürs Kleine, Naive, Beschauliche auch. Wir belächeln es als komisch. Die Proportionen kommen uns von aussen unverhältnismässig vor. Dieselben vermitteln und von innen Geborgenheit, Gewohnheit, Vertrautheit.

Moderner Ableger der Aufklärungseuphorie ist die „Deutungsekstase“. Aus der grossen Auswahl an Bedeutungen und Interpretationen wird alles zusammengeschraubt, was auch nur andeutungsweise zu passen scheint. Bei mir haben andeutungsweise die biografischen Bruchstücke Russland und Psychiater gepasst, die es literarisch nicht nur auf die ersten Seiten der Grass’schen Blechtrommelei geschafft haben.

Es war nicht das einzige verführerische Deutungsangebots für Erzieher und Pubertätswächter, kurz alle die, die das Muendig-werden überwachen. Mich, dem ich durch den Türspion meinerseits die Beobachter beobachtete, beschleicht das Gefühl, dass manche meiner Gegenüber hinter der Tür regelrecht den Verstand verlieren, wenn sie sich in das Objekt ihrer Beobachtung vergucken und deutungsschwer vor sich hinspekulieren.

In dieser gespensterhaften Dämonisierung, der auch die junge Bundesrepublk nicht entging, verkriecht sich, was uns einst zur Aufklärung gereicht hat: Gewissen, sexuelle und bürgerliche Freiheit, technische und philosophische Aufklärung. Verkrochen in Angstpervertierungen, Fanatismen, Tribunale und Hate-Speeches bezeugt die im 3. Reiche beispielhaft fixierte Dämonisierung eine jederzeit abrufbare gespenstische Gegenwart.

Naivität ist nicht die einzige aber die erste Antwort. Es ist eine kindliche Antwort. ‚Warum sollte mir jemand etwas Böses tun?‘ Eine Antwort vor dem Argwohn. Zweiter Teil der naiv-kindlichen Antwort ist Angst. Für ein Kind sind Gespenster durchaus nichts Ungewöhnliches. Es versucht sich zu verstecken und flüchtet vor ihnen. Flüchten auch vor dem Unkalkulierbaren, Unbegreifbaren ist eine kind-nahe Reaktion. Bleibt es kind-nah, ist es gepaart mit dem tiefen Unverständnis, warum ihm jemand etwas Böses tun sollte. Eine Naivität, die seine stärkste Waffe ist. Die Verständnis auch für Flüchtlinge generell weckt. Flüchtlinge, geflüchtet vor dem Schrecken, geflüchtet vor Gewalt, geflüchtet vor der Drohung, vor der Angst. Angst muss gebannt werden. Gespenster können das am besten. Die Gestalt aber, die ihnen verliehen wurde, gibt sie gleichzeitig der Lächerlichkeit Preis. Die Aufklärung kommt langsam voran, aber sie kommt. Und sie bleibt nicht auf die Vernunft beschränkt.