Donnerstag, 4. Juni 2020
Binäre Codes und komplexes Denken (für SEO-Opfer)
Binäre Codes und komplexes Denken von Jakob Tanner (2019)
Ist die Vorlage meiner Zusammenfassung und Reflektion:

Kultureller Reichtum wird runtergebrochen auf binäre Information (93), so die Eingangsthese von Tanner, ein Schweizer emeritierter Professor, der überfällig Aktuelles von sich gibt. Schon der Titel ist angenehm umfassend und grundsätzlich. Das uns meist beschaeftigende Thema SEO ist mit drin, aber nicht darauf beschränkt. Ich weiss: SEO funktioniert auch nur für Suchmaschinen, und da auch nur für bestimmte. Thema und Problem sind aber ungleich grösser, worauf Tanner aufmerksam macht. Dass der kulturelle Reichtum runtergebrochen wird auf die binäre Information, hätte man geahnt, aber hat man es gewusst und so formuliert?

Was man aber ziemlich sicher so nicht gewusst hat: Das Verfahren, alles aber auch alles in binäre Information zu verwandeln selbst ist alinguistisch (aha), dass heisst, selbst nicht linguistisch. Es basiere, so Tanner auf (dem Zählen von) Grundeinheiten (Ngram genannt), wie Worte, Silben usw. Der Korpus, des zur Masse aufgepumpten Untersuchungsgegenstand, ist und bleibt deshalb intransparent (96 ff.). Transparenz könnte nur entstehen, wenn die Untersuchungsinstrumente aus dem gleichen Holz geschnitzt wären wie der Stoff, der untersucht wird, schliesse ich daraus.

Dies „Ausweichen“, so nennt es der Autor, in die Masse sei eine einzige Provokation für jede Sozial- und Geisteswissenschaft und degradiere diese zu einer Form von Echtzeit-Statistik, die simultan nach allen gewünschten und zählbaren Kriterien mitzählt, auszählt und auswertet (98).

Dabei weiss man doch, frei nach dem Historiker Kosseleck und seinem Historischen Lexikon, dass sich gerade an den Trennschärfen Grundbegriffe herstellen wie z.B. an historischen Umbrüchen, mittels derer sich der Geltungsbereich des einen vom Geltungsbereich des anderen Bergriffs absetzen lässt (99).

Erkenntnisgewinn, und damit erreicht Tanner den Gipfel seiner Argumentation, sei aber ausschließlich möglich, wenn der Untersuchungsgegenstand durch wissenschaftliche Analysekriterien (z.B. historische, sprachphilosophische, linguistische ) zunächst theoretisch gefasst, präzisiert und theoretisch fundiert wird, was schlicht das Gegenteil des massenhaften Aufblasens ist.

Hätten Sie das gewusst? Ich hätte nicht gewusst, dass man es so uebersichtlich ausdrücken kann.

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