Freitag, 8. März 2019
Durchblick bekommen,
durchzublicken durch widersprüchliche Phänomene und Ausdrucksformen, durchzublicken auf den Grund der Dinge, die im offensichtlichen Widerspruch zur aktuellen Wahrnehmung stehen.Ein Beispiel:

Der Soziologe Norbert Elias (20. Jahrhundert) sieht ein Hinter-die-Kulisse-Verlegens der Scham und der Schamgrenzen, was zur Zunahme von Sublimierung und Schamhaftigkeit fuehrt,
während sein damaliger Kontrahent Hans Peter Dürr (20./21. Jahrhundert) mit Blick auf Naturvölker von (partiellen) Modellen sich erhaltener und verbreitender Schamlosigkeit ausgeht.

Was denn nun? Wer älter wird, neigt sowieso zu letzterem, weil, was er sieht, dem widerspricht, was er gelernt hat. Alles wird anders, wenn nicht besser. Es braucht Durchblick, um durch Gefühl und Trend hindurch, Entwicklungen zu sehen.

Gretchenfrage: In Zukunft also mehr oder weniger Kontrolle?
Es fällt auf, dass wir Gesetze haben, die offen nicht befolgt werden (CO2-Ausstoss, Datenschutz) und im Einklang stehen mit einer gewissen Regelungswut in allen Bereichen unseres Lebens.

Also: Brauchen wir mehr oder weniger Gesetze?
Der Durchblicker sagt: Mehr derselben ist angesichts der Zunahme des Regelungsbedarfs und der Regelungsbeduerftigen eine Sackgasse, die nicht weiterführt.

Mein Schluss: Weniger aber einschneidende (nicht: drakonische) Gesetze.

So einen unbequemen Durchblick, der die Symptome und Erscheinungen durchblickt, benötigen wir. Wird denn wirklich alles besser und fortschrittlicher? Der Soziologe Harald Welzer wagt die These: Nein.

Allein dies Wagnis vermag unserem Denken eine andere Richtung zu geben. Kann die Gegenrichtung gedacht werden, ergeben sich ganz andere Hypothesen und Folgerungen:

Noch ein Beispiel: Automatisierung bedeutet nach Welzer nichts weniger als Verarmung: Aus den vielen verschiedenen Facetten des Erlebens und Anschauung wird ein (viereckiger) Bildschirm, auf dem sich vor dem allermeist sitzenden User abstrahierte, wenn nicht gleich virtuelle Realitäten abspielen.

Die Verarmungsfährte lässt selbst buntige Fortschrittspropheten auf dem Fusse kehrt machen. Der Treck ist nicht ohne Gefahren: Prompt gesellen sich Esoteriker und Naturphilosophen zu einem. Aber der Grundgedanke strotzt nur so von Rationalität.

Nach einer sich libertär gebenden Zeit des anything goes scheint nun die Lust an der normativen Zeit durchzubrechen. Dahinter aber kann man schon Umrisse des Kommenden erahnen: Das Pendel schlägt zurueck sagen die einen, die laengst ueberfaellige Selbststeuerung gewinnt die Oberhand hoffen die anderen.
Über allem steht die Frage:
Wie kann man verhindern, dass wir nach zwei Massendiktaturen der faschistischen wie der kommunistischen Manier wiederum in einer nun Digitale Diktatur landen?
Welzer zitiert zum guten Schluss in seinem neuesten Buch (Alles könnte anders sein, 2019) Norbert Elias zum aus verschiedenen Komponenten (sozial politisch, historisch, persönlich usw.) gefügten Zeitbegriff, um uns auch diesen Zahn unserer Zeit als quasi vorgegebenen Tatbestand zu ziehen.

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