Mittwoch, 16. März 2022
Natur, Wandern, Raum & Neben-sich-Stehen der Bachmann
"Die Protagonistinnen wandern auf Waldwegen auf der Suche nach ihrer eigenen Richtung, eine Metapher für das Leben, das war und das sie erwartet. Eine Wanderung, die kein Ende findet, die aber hilft, über die Unvollkommenheit menschlicher Beziehungen, über Ernüchterung und Illusion nachzudenken.

Sich Raum zwischen den Seiten schaffen

Elisabeth erkannte, dass sie diese Ereignisse zwar erlebt, aber gleichzeitig nicht erlebt hatte, denn diese Geschichten hatten immer etwas Undurchsichtiges und Leeres an sich. Das Undurchsichtige war, dass sie zwar alles miterlebt hatte, aber ihr Leben hatte sich sozusagen abseits abgespielt, in einer anderen Welt. Und gerade deshalb war es ihr oft entglitten, wie einem Zuschauer, der jeden Tag ins Kino geht und sich von einer anderen Welt als der eigenen betäuben lässt."

Soweit zum Raum, den Literatur schafft. Das Schlüsselwort heisst "Zuschauer". Gegen dieses Lebensgefühl hilft auch völliges Eintauchen in Aktivität und Hektik nicht. Das Lebensgefühl bleibt bis heute. Sie war kindliche Zeugin einer gewalttätigen Epoche, Freundin von Henze und Celan. Unser Schicksal: Zeuge und daneben. Nett aber hilflos, unsere Versuche aufs Bild zu kommen.
Die Wahrheit darf dieses Daneben nicht ignorieren. Sonst gerät unser Leben unter Kitschverdacht: Gekünsteltes statt Kunst. Imitat statt Orginal. Quelle: Zu Bachmanns Buch: SIMULTAN (https://blog.treedom.net/de/books-womens-day).

... link


Dienstag, 8. März 2022
Gedicht: Alte weisse Männer
Gemeint sind: Alte weisse Männer, die Macht haben.
Menschen, die andere instrumentalisieren.
Als Instrumente einsetzen.
Weil sie es selbst nicht mehr ausrichten können.
Weil sie alt sind und ihnen andere zur Verfügung stehen.
Alt und weiss eben. Nicht etwa alt und weise.
Weisst du, was ich glaube?
Ich glaube, das ist ein Gedicht.

... link


Montag, 7. März 2022
Künstler sein
Mein Ding ist das Zoomen vom aktuellen Eindruck in meine Seelengründe und zurück. Wie von meinem Namensvetter Jean-Paul exemplarisch vorgeführt. Vergleichbar am ehesten mit einem Film, einem Comic vielleicht, in dem der Blick vom Dach des Hauses (durch den Kamin) bis ins Wohnzimmer fällt und sich dann plötzlich mitten im Gemenge, Getümmel, Gedränge wiederfindet (damit hätten wir das Komische mit dem Ernsten gemischt).

Analog dazu: Der Film im Kopf, der einen Rückblick scrollt, im Zeitmassstab meines Lebens zunaechst. Da kann ich vergleichen, in Beziehung setzen. Unverständlich ist es, dass dieser erste Einordnungs- und Vergleichsblick heute zumeist unterbleibt. Beispiel: Alles redet von der Ukraine, aber kaum jemand von Belarus, das doch einer der Auslöser der Eskalation war.

Dieser vergleichende Blick aber vergegenwärtigt mir gleichfalls in Schnappschüssen? meine damaligen Einstellung, meine damalige Sichtweise. Wichtig daran: der Blick muss beiläufig sein, sich durch die Einstellung vermitteln. Werde ich zur Hauptsache der Betrachtung, greifen gleich alle möglichen anderen Blickwinkel, Argumentationen und Rechtfertigungen: Ich relativiere.

Es war eben von der Zeit die Rede (Zeitmassstab). ?Aber seine (Lubitsch JPK) Einstellung zum Film, zur Komödie und zum Leben war seiner Zeit nicht so sehr voraus, sondern einzigartig und völlig aus der Zeit gefallen? (S.Eyman über Ernst Lubitsch: Lubitsch berühren in Ernst Lubitsch auf Wiki).

Gefallen ist gut: Lubitsch ist Sohn des Schneidermeisters und Textilhändlers Simcha (Simon) Lubitsch und der Modedesignerin Anna Lindenstaedt, die für das Modehaus, das sie zusammen betreiben, die Kollektionen entwirft. Der Vater, Sohn polnischer Juden aus Galizien, kam aus Wilna/Vilnius, das seit 1795 russisch war, nach Berlin. Er behielt seine Staatsangehörigkeit (Website: Deutsche und Polen). Die Mutter aus Brandenburg. Zwei Kulturen, die jüdische und die deutsche, mehrere Orte und dann Amerika.
Die Nicht-Simultanität zwischen Ort und Kultur: Quelle des besonderes kreativen Komödianten, der nicht zuzuordnen ist.

?In einem der schönsten Beispiele für den Lubitsch-Touch, ?Trouble in Pa￾radise" von 1932, wird dem Zuschauer ein Gauner-Pärchen glaubhaft als höchst ehrenwert vorge￾stellt, bis Lubitsch den Zuschauer aus anderer Per￾spektive hinter die Kulissen blicken läßt. Konse￾quent wird der falsche Schein zerstört und vorge￾führt, wie riskant es sein kann, sein Urteil über Menschen lediglich von einem einzigen Blickwin￾kel - in diesem Fall von der in die Irre führenden Wertschätzung erlesener Gewänder und Manieren - abhängig zu machen.? (Jürgen Müller, Thomas Hensel: Das Exlibris Ernst Lubitschs in: Fotogeschichte 1997) Die Wirklichkeit wird mehrfach gebrochen und verschachtelt. Übrig bleibt die subjektive Perspektive.

Der Film-Komödiant Ernst Lubitsch wird für mich zum Leitbild nicht Vorbild) des Künstlers. Kunst als aus der Zeit-gefallen-sein. Aus dem Ort sowieso. Der Verfasser der Strudlhofstiege, Heimito von Doderer, stammte aus dem Schwäbischen, Stuttgart, gilt aber als österreichischer Autor. Die Brüche, das Fremde, das Dazugehoeren-Wollen findet sich im Werk wieder. Mosebach hat auf diese Doppel-Ort-Thematik hingewiesen. Für die eigene Fremdheit ist bei Mosebach dadurch gesorgt, dass er Sohn eines Psychiaters ist. Er wuchs in einem Käfer auf (wie ich) mit dem an Sylvester, wie er beschrieb, der Grosse Feldberg bereist wurde, in der Nähe meines dritten Lebensorts.

... link