Dienstag, 29. Dezember 2020
Das seh ich kritisch ...
… machtkritisch müsste man sagen.

Oder wie Petra Morsbach zum Thema Machtkritik sagt:
„Es ist ein Erbe des „Dritten Reichs. Es war ein gewaltiger Machtmissbrauch. Die Leute denken heute, wenn sie sich selber als machtkritisch empfinden, dann kann ihnen so etwas nicht passieren. Das ist genau der Irrtum, um den es hier geht." (Dlf am 28.12.2020, die Schriftstellerin Petra Morsbach im Gespräch mit Christiane Florin: „Dass Bischöfe um ihr Amt fürchten müssen, ist eine große Errungenschaft“.
)

Diesem Irrtum aber erliegen wir seitdem wir die Machtkritik auf unsere Fahnen geschrieben haben. Wir halten Kritik an der Macht für den Anfang vom Ende der Macht. Diese baut sich aber im gleichen Atemzug hinter unserem Rücken neu auf, mit stärkerer Legitimation und Motivation als vorher, indem sie auf ihre nunmehr breitere Basis hinweist. Etwas wackelig und herrisch im Abgang, kommt sie jetzt als Mainstream mit breiter Brust zurück. Kläglich nimmt sich Kritik dagegen aus. Der Hinweis auf die Mehrheit (ob berechtigt oder nicht) erschlägt alles und Macht braucht sich vor allem nicht im Einzelnen zu rechtfertigen. Vorpreschende Gewaltavantgarden, wie Schlägertruppen, sickern mit der Zeit ein in den Mainstream, natürlich nicht, ohne mit dem Zeigefinger auf die zu deuten, die angefangen haben.

Wie oft habe ich diesen Satz gehört: „Das seh ich kritisch“. Und dann kam eigentlich keine inhaltliche Begründung, sondern eine inhaltliche Pause. Das Verhalten als solches war somit pauschal inkriminiert, Grund: Machtdemonstration, aber manchmal reicht schon das Gefühl, was vorgesetzt zu bekommen. Mehr ein Unwohlsein ist’s als konkrete Kritik.

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Montag, 28. Dezember 2020
Kühn nicht Leverkühn
Anlässlich eines Spaziergangs nach Polling Obb. am 27.12.2020.

Dr. Faustus, Spätwerk Thomas Manns, spielt seine ganze Ambivalenz zwischen Kreativität und Kälte aus. Th. Mann ist der Dichter der Gespaltenheit. Ihm gelingt der grosse Schritt zum Sich-Eindenken in Menschen und ihm fehlt der kleine zum Sich-Einfuehlen.

Ob Adrian Leverkuehn, Künstler ohne Gefühl,j Felix Krupp, der Hochstapler, Gustav Aschenbachs und Tadzios Tod in Venedig: es fehlt immer dieses kurze Ende der Einfühlung und dass es fehlt, tut weh. Deutschen ist dies Gefühl (!) bekannt.

Manns eigener Weg vom unpolitischen Abgrenzer gegen
süd-westliche Politiktkulturen im Tagebuch eines Unpolitischen bis zum Exilamt und Ehemann einer jüdischen Professorentochter ist ein langer Weg des im Grunde konservativen Sprösslings aus einer Kaufmannsfamilie.

Der Sektkaufmann Felix Krupp hatte ja Berufsvettern, die, so im Falle meines Vaters, durchaus ehrbar eine Lehre bei Matthäus Müller machten, um studieren zu können, statt zur SA zu gehen. Nicht jeder der Sektkaufmann wird, ist tendenziell Hochstapler. Der Bodensatz der Ambivalenz ist Vorurteil und Unschärfe. Das tut weh.

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Montag, 23. November 2020
Wie ich Minderheit wurde
Gümüsay: Ein Beispiel, um einmal zu erläutern, wie eine Kategorie zu einem Käfig werden kann, ist, wenn wir den Blick einmal umdrehen. Wenn wir zum Beispiel von alten weißen Männern sprechen, denen ja pauschale Zuschreibungen jetzt nun gegenwärtig zugeordnet werden, zum Beispiel, dass sie rassistisch seien, dass sie privilegiert seien, dass sie ignorant seien, konservativ und viele, viele andere Dinge- Und die Reaktionen darauf zeigen uns, wie einengend es ist, wenn ein Mensch nicht mehr als Individuum auftreten darf, sondern sich zu seiner Kategorie verhalten muss, also beispielsweise nachweisen muss permanent, dass er nicht rassistisch ist, nicht sexistisch ist, nicht konservativ ist oder nicht übermäßig privilegiert ist.
LESART / ARCHIV | Beitrag vom 14.03.2020
Kübra Gümüşay über „Sprache und Sein“ Von „Gutmenschen“ und „alten weißen Männern“ Moderation: Maike Albath in: LESART / ARCHIV | Beitrag vom 14.03.2020

Das Problem ist nicht, dass ich es nicht auch schon gedacht habe. Das Problem ist, dass es so selten zu lesen ist. Und wenn, dann als Machtanspruch alter weisser Männer, also von den falschen. Es kann also z.Zt. (nur) von jungen nicht-weissen Frauen geäussert werden.

Der Steg ist bisweilen schmal, auf dem man steht, um Wahrheiten hören zu können. Der Steg wird nur sichtbar, wenn „wir den Blick einmal umdrehen“. Umdrehen heisst: nicht von mir nach aussen, sondern vom angenommenen externen Standpunkt auf mich.

Dann sehe ich das Prekaere, Wackelige an meiner Existenz und die sichere Selbstverständlichkeit geht flöten.

Dann fängt der Lebenssinn an. Der erstrittene, erlittene,erkämpfte. Der, der den Angriffen standhält. Sie sind dann die, die sie trotz den oder jenen Widrigkeiten heute sind. Trotz Eltern, trotz Benachteiligung, trotz happigen Irrtümern, trotz vermeintlichem Aus und Ende. Dann verkehrt sich das trotz ins wegen.
Aus diesen trotz wächst die Chance, dass aus dem wegen nicht wieder dominantes Herrschen und Herrschenwollen wird.
Aus diesen trotz werden die Balken, die mein Wasser hat
.

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