Montag, 28. August 2023
Streit
Ich kanns nicht mehr hören: die Journaille hat sich auf den Streit in der Ampel, vor der Ampel und um die Ampel herum eingeschossen. Wie solls denn anders gehen, wenn sich das erste Mail in der Bundesrepublik 3 Parteien in einer Koalition wiederfinden? Und was ist Streit denn?

1. Da gibts verschiedene Positionen
2. mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen,
3. die sich offensichtlich nicht vereinbaren lassen

Und wie geht's weiter?
- Darstellung der Positionen wortwörtlich
- Erarbeitung von Ansatzpunkten für eine Diskussion
- Ausführen und Entwickeln modifizierter Positionen

Da capo bis sich (zunächst) jede Partei wiederfindet.

Mensch sieht: Streit macht Arbeit, setzt an Defiziten an und ist nicht etwa selbst ein Defizit.

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Mittwoch, 5. Juli 2023
Über den Humour und Jean-Paul
Ralf Simon, Humoristisches Gebräu aus: Jean Paul, Professorenschaft, Volltrunkenheit, Begriffsgeschichte, Theologie, nebst einigen Bemerkungen zum Elfenbeinturm im Elfenbeinturm
(https://www.unibas.ch/dam/jcr:ad066736-8c2d-4cd1-bf1f-9cfaa5bb551b/U)

"... Der Begriff des Humors ist älter. Er geht der Sache nach auf die antike Lehre von den humores zurück. Humor heisst Flüssigkeit und meint in der Humoralpathologie das jeweilige Vorherrschen der disponierenden Körpersäfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle, nach denen man sanguinischen, phlegmatischen, cholerischen oder melancholischen Temperaments sei. Im englischen Sprachgebrauch wird Humour zur allgemeinen Bezeichnung dieser Gemütsverfassungen. Im Hintergrund steht die Frage, ob der Mensch nach dem Sündenfall überhaupt je «gesund» sein könne oder sich nicht vielmehr immer in einem Zustand befinde, in dem er unter der Vorherrschaft einer der Säfte und des korrespondierenden Temperaments stehe.

Humour zu haben, bedeutet dann, in jedem Fall schief zur Welt zu stehen. (!)
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Die Frage nach der Grenze zwischen noch normaler Schiefheit und auffälligem Humour löst sich unter dieser Perspektive in ein kontinuierliches Übergangsfeld auf.

Ein Humorist ist dann einer, der entschieden die Verallgemeinerung vornimmt und die Relation von vermeintlichem Normalverhalten und kurioser Abweichung umdreht (!):
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Normal ist das verschrobene Verhalten, während die vermeintlich Normalen genau genommen die seltsamsten Kerle in dieser Welt sind, jene, deren mangelhafte Selbsterkenntnis mit einem kompensatorischen Konformitätswillen verbunden ist. Reflexiv im Sinne des Humoristen wird der Humor im Roman, zuerst wohl bei Laurence Sterne, in der deutschen Literatur bei Jean Paul. (!)

Sonderlinge, Exzentriker grotesken Selbsterschaffer !!!
==================================werden in dieser reflexiven Inversion der sozialen Normalitätsdispositive entschieden positiv dargestellt, Humor gerät zu einer Reflexionsform, eigentlich zu einem Wahrnehmungsdispositiv.

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Montag, 3. Juli 2023
Buber - kurz und bündig.
Hinken

Als Kinder sind wir mit dem einen Fuss auf dem Trottoir, mit dem anderen auf der Strasse gelaufen und haben uns über den künstlich herbeigeführten Effekt des Hinkens amüsiert, das daher rührt, dass wir auf zwei höhenunterschiedlichen Ebenen agieren. Das ist übertragbar auf Bubers Methoden, auf der einen Seite philosophische Fragestellungen aufzugreifen, sie aber dann auf der anderern Seite nicht auf dieser Ebene zu beantworten sondern eine Ebene „tiefer“, auf der Ebene der Bilder, der Anschauung, des ostjüdischen Outfits, der Population der Chassidim. Ungleichgewicht tritt ein.

Keine kleine – keine grossen Taten, keine kleinen – keine grossen Sünden!

Warum das so ist, liegt an Bubers Wertesystem. Es zählt gut jüdisch/christlich nicht die Tat, sondern die Haltung, nicht die Verfehlung sondern die Kluft zwischen Absicht und Verfehlung. Bubers Bezugs- und Wertesystem aber ist Ich-Werdung am Gegenüber Du. Da geht’s nicht um spektakuläre Taten sondern um Nuancen in der Einstellung, unmerkliche Nuancen.

Nichts altes – nichts neues!

Ähnlich verhält wie bei gross – klein verhält es sich bei jung – alt. Es gibt keinen Bonus auf Bewährtes, Altes, ebenso wenig Abzüge für Unreife und Unerfahrenheit. Die ganze Dimension alt/jung, alt/neu gibt’s nicht. Für Gott, Herr der Zeit, zählen andere Zeit-Raster.

Zieh es dir an!

Zieh ihn dir an, das Vorurteil.
Zieh ihn dir, an den Ostjuden-Look, schwarz mit Hut und Haar. Ist’s vollbracht, lässt sich mit Lust und Laune alles dementieren, was mit dem Vorurteil an Unterstellungen verbunden ist: Nein, keine Ödnis. Nein, keine Gesetzestyrannei! Im Gegenteil: Alles erlaubt und noch viel mehr und das im Angesicht derart so vieler Speisevorschriften, dass mensch nicht weiss, wo ihm der Kopf steht. Und hast du’s jetzt vor dir, das Vorurteil, in seiner ganzen antisemitischen Lebensgrösse, zieh es dir an und mach dir einen Jux draus, die Vorurteile zu unterlaufen und ad absurdum zu führen.

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