Samstag, 5. Februar 2022
Stalin und ich
Anlass ist eine Notiz im Dlf über den Architekt Herrmann Henselmann, einen notgedrungen Zeitgenossen Stalins:

Hatte er bisher Goethes Diktum ?Das Gleiche lässt uns in Ruhe, der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht?,
als Leitwort verwendet, um die Moderne als Endpunkt einer Entwicklung des Humanismus zu feiern, war dieser Endpunkt nun die klassizistische Tradition preußischer Prägung. In der Praxis rehabilitierte er sich mit einem entsprechenden Bau: dem Hochhaus an der Weberwiese, es wurde die Keimzelle der Stalinallee. Er war ihnen eben über, den Genossen, das ärgerte sie ja so:.. . (https://www.deutschlandfunk.de/biografie-der-ddr-architekt-hermann-henselmann-und-die-100.html).

Was kann der Mensch daraus lernen? Es kommt auf den Interpretationsrahmen an. Mal war die Moderne Teil der (dialektischen) Entwicklung, mal ihr Endpunkt (?preussischer Prägung?). Er ?war Ihnen eben über?, heisst es daher halb resignierend halb lapidar.
IEr war auch meinem Onkel ?über?, von dem es hiess, er sei denunziert worden, weil er im Westen Berlins Nägel besorgt habe, um das Plansoll (schoenes, weil wahres Wort) der Stalinallee zu schaffen. Inhalt/Form der Denunziation zeigt: Er war Fussvolk. Und, darin sehe ich eine familäre Parallele: Im?über?eifrig sein.
Das Unter muss durch das ?Über? getoppt werden. Jetzt überlege ich, ob sich hinter der Nagelgeschichte eventuell eine Abweichungsgeschichte verbirgt. Danach jedenfalls war mein Onkel mundtot. Es wäre nicht das erste Mal, dass einer oder eine vom Widerstand gegen Hergebrachtes und Existentes so erschöpft waren, dass sie es nicht mehr schafften, einen Irrtum einzugestehen. Jedenfalls wurde der Kommunist in unserer Familie zum Katalysator in rechts und links. Aber nur dank seiner Erstarrung.

Und was kann der Mensch noch daraus lernen?
Dass man nicht nur ?für? sondern vom Leben lernt. Und dass dieses Leben, hier Architektur und Bau, auf Geheiss von Diktatoren, viel pädagogischer ist als das beste Programm der Lernschritte. Und damit wäre man wieder beim ?produktiv? machenden Widerspruch. Produktionsverhältnisse, von und in denen der Mensch lernen kann, wesentlich lernen kann.

Dass Henselmann als labiler Bohemien bekrittelt wurde, war das mindeste, was man einem socalled Halbjuden schuldig war.
Wolf Biermann sang in seinem Lied Acht Argumente für die Beibehaltung des Namens Stalinallee für die Stalinallee 1972: ?Und Henselmann kriegte Haue / Damit er die Straße baut / Und weil er sie dann gebaut hat / Hat man ihn wieder verhaut?.

Mir begegnet das Leben nicht zuletzt im Dlf, in den Nachrichten, im Vermischten, in der Kultur, in dem Erinnerten. Eine bunte Mischung. Heute war Jahrestag der Stalinallee.

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Donnerstag, 27. Januar 2022
Erwin Blumenfeld: Eine Anti-Genius-Biografie (Dlf, 27.01.22)
In dieser Biografie geht alles schief, was schiefgehen kann, aber der Held überlebt alles.

?Mir kleinem Emigranten blieb ja wirklich nichts anderes übrig, als mich blindbegeistert, von keiner Sachkenntnis getrübt, Illusionen an den Hals zu schmeißen?, schreibt Erwin Blumenfeld schließlich kurz vor seinem Tod in seiner Autobiografie.

Er hatte noch Illusionen. Trotz Kampferfahrungen als Fahrer im 1. Weltkrieg, Einsatz als Buchhalter im Feld-Bordell und KZ-Station. Jude und Verheizen, Jude und Geld, Jude und Verunglimpfung, Jude und Hitler. Da kommt zusammen, was nicht zusammen gehört.

Und was macht Erwin Blumenfeld daraus? Aus dem Puff macht er den Akt und aus der Pornografie die Kunst der Modefotografie. Auch aus Hitler wird was. Hitler, gepaart mit einem Totenschädel wird eine populäre Fotomontage.

Und aus ihm? Aus dem Verunglimpften wird einer der anerkanntesten Foto-Künstler. Anerkannt, nicht bekannt. Aus Scheiße macht er Gold. Und da es viel Scheiße war, viel Gold.
Davor setzt der gelernte Dadaist noch eine Handtaschen-Produktion in Amsterdam in den Sand.

Endlich jemand, der in keiner Weise von der Arbeit anderer Fotografen beeinflusst sei. Sein Verdienst als Künstler liege in der Tatsache, dass er unfähig sei, Kompromisse zu schließen. Fotos, die viel ernster, provokanter und besser seien als Mode, jubeln die Zeitgenossen, die keine Ahnung hatten, wie es dazu kam.

Und Blumenfeld?: Nimmt sich zurück als dubioser Schmuggler in das Niemandsland, aus dem er kam: ?Ich nahm mir vor, Kultur in mein neues Vaterland zu schmuggeln, zum Dank, daß es mich aufnahm.?
Understatement im Originalton von einem, der auszog eine eigene Kunstgattung zu begründen.

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Samstag, 8. Januar 2022
Im Ernst
Weniger was wir machen, sondern wie wir es machen, wird die nächsten Jahre prägen. Der Ernst ist auch das, was am schmerzlichen nicht vorhanden war.

Wie auch? Wenn das Hauptproblem war:
Wie bekomme ich möglichst viel mit
- vom Erstrebenswerten?
- von dem, was die Welt für mich zu bieten hat?
Im Ernst liegt die Reduktion, in der Optimierung das Gegenteil.

Wir werden angesichts des Klimawandels demnächst ff. Arten von Reaktionen sehen und hören:

- Den Bussprediger
- Den Gesetzestexter
- Den Gründlichen, der Moral und Ethik bis ins Detail einschließlich aller Fehlhaltungen auf den Grund geht.

Die Angebote :

- Umkehr, Busse: alles ganz von vorn
- Ratschläge, Tipps: Du musst dein Leben ändern
- Ge-- und Verbote: So gehts und sonst geht garnichts
- Nachdenklichkeit: kein Problem zu klein, um nicht alles zu füllen

Da hat Mensch es mit dem Ernst vergleichsweise gut getroffen.
Vor lauter Ernst kann man sogar über sich lachen.
Und das, indem man sich des Ernstes voll und ganz bewusst ist!

Ernst: Das Motto, der Sound, meiner nächsten Einlassungen..

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