Montag, 9. Februar 2015
Montag, 9. Februar 2015
Päpstlicher als der Papst. Ich sehe es schon vor mir. Der Papst beugt das Knie vor dem Leiter des Kindesschutzbundes und tut Busse für folgenden Satz:
"Einmal hörte ich in einem Treffen von Eheleuten einen Vater sagen: „Manchmal muss ich die Kinder ein bisschen schlagen - aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu demütigen.“ Wie schön: Er hat einen Sinn für Würde. Er muss bestrafen, er macht’s auf rechte Weise, und dann geht es normal weiter“ (zitiert nach: Billigt der Papst das Schlagen von Kindern? FAZ, 06.02.2015, von Thomas Holl).
Ein barockes Prachtgemälde, ein moderner Gang nach Canossa, wo "ohne die geringste Pracht zur Schau zu stellen, barfuss und nüchtern", wie es Lampert von Hersfeld beschrieb der Bussfertige sich geschlagen gab vor der moralischen Autorität. Nun aber der Papst vor dem Kaiser, der Investiturstreit andersherum. Nun aber die ältere Autorität vor der auch von ihr abgeleiteten jüngeren Umsetzung in Recht und Gesetz, "ohne Pracht", "barfuss".

So leicht fällt mir kein Bibelzitat ein, aber jetzt: "Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr verzehntet die Minze, Dill und Kümmel, und laßt dahinten das Schwerste im Gesetz, nämlich das Gericht, die Barmherzigkeit und den Glauben! Dies soll man tun und jenes nicht lassen. (Matthäus 23, 23).
Das ist kein Blankoscheck, aber genau die Antwort in dieser Situation: Der Geist steht vor Gericht, vor dem Gesetz, die moralische Macht vor der staatlichen. Die Beweise gegen die Werte-Schwätzer sind erdrückend: die Missbrauchsskandale der Priester, die Prügelpädagogik der Nonnen. Dass die Kirche für die Beründung von Gewalt noch die richtigen Bibelverse fand, ist längst nicht so lang her, wie sie Glauben machen will.
Doch die Situationen gleichen sich: Die moralische Instanz gerät in Begründungsnotstand gegenüber den Verantwortlichen, die für die Umsetzung dieser Massstäbe in Gebote und Verbote verantwortlich sind. Der Geist kapituliert vor dem Buchstaben. Die universalen Werte sehen verglichen mit ihrer jeweiligen landes- und religionstypischen Umsetzung schlecht aus. Der Wert der Würde gegenüber der Praxis nicht minder. Besonders heute ist das die Situation, unsere Situation: Mühevoll erarbeitete Regelwerke in allen möglichen Bereichen, vom Daten- bis zum Kinderschutz versuchen allen Eventualitäten gerecht zu werden und lassen einen vor der Intention der Werte und der Absichten doch nur als ein "Heuchler" dastehen. Diese Situation der Doppelmoral und der Doppelbödigkeit kennzeichnet heute alle gesellschaftlichen Bereiche.

Je intensiver die Regelungsabsicht, desto grösser die Lücken, die sich auftun. So honorig und unabweisbar die Gründe sind, sie münden in Heuchelei und Doppelbödigkeit, wird nicht eingestanden, dass sie das Übel sichtbar machen aber nicht abschaffen können, im Gegenteil, sie drücken es in weniger kontrollierte Bereiche. Ist psychischer Druck, In-die-Ecke-stellen, an den Pranger stellen etwa keine Gewalt? Ist das Kneifen am Arm statt des Schlagens etwa keine Gewalt? Und wie siehts mit dem Mobbing auf dem Schulhof aus? Was ist Gewalt? Und so schlägt die auf dieser Ebene durchaus gerechtfertigte Regelungsabsicht schnell um in einen neuen, faktischen, so unbeabsichtigten Ausschlusskatalog, der den Status-quo festschreibt. Genau dies kennzeichnet unsere Situation: Das Sämige, Doppelbödige, Verlogene, das uns an den Füssen klebt und Veränderungen kaum möglich macht. Aber gegen die Heuchelei liesse sich schon was machen.