Samstag, 18. Dezember 2021
Vermenschlichung
Kinder übermenschlichen Tiere, Kinder vermenschlichen Dinge - das Möbelstück, an dem sie sich gestoßen haben, ist böse - und Menschen vermenschlichen Computer. Mit jeder Zeichnung, mit jeder Abbildung, die dem Computer menschliche Züge anhängt, wird die Frage in mir lauter:
Kann es sein, dass unsere Angst, der Computer können eines Tages schlauer sein als wir, die künstliche Intelligenz eines Tages intelligenter sein als die menschliche? Kann es sein, dass unser Liebäugeln mit aber auch unsere Angst vor der Überlegenheit des Computers hier seinen Grund hat? Dass der Mensch ungern allein ist und sich nach Gefährten sucht.? Kann es sein, dass es so einfach ist? Kann es sein, dass wir eines Tages die Liebesdienste satt haben und an jeder Ecke nur Versklavung, Bevormundung argwöhnen. Kann es sein, dass das Problematik-Stirnrunzeln hier seinen Ursprung hat: Sich Ernst nehmen, und sei es per Computer.

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Mittwoch, 8. Dezember 2021
Scham als Navigationssystem
Der Prozess der Zivilisation und der der Sozialisation wird getrieben von fundamentalem Sympathie- und Abwehrverhalten.

Dies wiederum wird von der Scham gesteuert. Scham stellt sich ein, wenn das Ungeschütztseins, das Allein-seins, das In-der-Ecke-Stehen einem schlagartig bewusst wird. Die Scham reagiert auf das Schutzlos-sein, das Blossgestellt-sein, das Nackt-sein. Es ist niicht die Nacktheit selbst, es ist das Ungeschützt-sein.

Die Scham ist das Feintuning, die Navigation im Detail, die dafür sorgt, dass etwas, und sei es noch so weit weg, schamhaft erlebt wird. Ist die Scham erstmal - ziemlich egal wo - installiert, erweist sie sich als eine der wirksamsten Navigationsinstrumente.

Und das ist, heute nicht weniger nur anders als früher, auch heute der Fall. Gruppenbildung, Meinungsbildung funktioniert überhaupt nur so. So mancher, der der Meinung ist, er habe sie sich schon lange gebildet, ist ein Angst- und Schamgetriebener, der sich ängstlich umblickt, ob er nicht allein stehe mit seiner Äusserung.

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Donnerstag, 2. Dezember 2021
Die Kunst der Klammer
Bb»Was Kunst interessant macht, ist die Tatsache, dass jeder sie realisieren kann, sobald die Idee formuliert ist. Das ist der Punkt.« (Lawrence Weiner) ... Und weiter mit Weiner zur Definition des Kunstwerks:

»(1) Der Künstler kann das Werk selber herstellen. (2) Das Werk kann angefertigt werden. (3) Das Werk braucht nicht ausgeführt zu werden. Jede Möglichkeit ist gleichwertig und entspricht der Absicht des Künstlers. Die Entscheidung über die Art der Ausführung liegt beim Empfänger im Moment der Übernahme.« 

Ich wende mich nicht dem Punkt zu, sondern dem Satzzeichen, in meinem Fall der Klammer:

Die Klammer fasst zusammen
Die Klammer grenzt aus
Die Klammer verändert Beziehungen (innerhalb des Textes)
Die Klammer weitet den Bedeutungsraum
Die Klammer (Mathematik) trennt in vorrangig/nachgeordnet

"In einer Grammatik aus dem Jahr 1534 lesen wir: Paranthesis, das ist ain Einschliessung oder Einsetzung, wenn etwa mitten in ain gantze Rede gleich ain ander und frembder Synn eingeschlossen oder eingesetzt würd. (Ickelsamer ... in: Teutsche Gramatika, Augsburg 1534 vgl.Höchl, Geschichte der Interpunktion S.59).

In einem Text, heisst das, steht ein sinngemäss anderer Text, jedenfalls im ausgereiften Fall. Damit ist der in Klammern gesetzte Text der Gegenentwurf zum binären Denken, dem Denken in ja und nein, in richtig und falsch. Dem zweifelsfrei Benannten und Gemeinten. Interessant ist auch, dass die Popularität der Klammer und der Grammatik zusammenfällt mit dem Druck der ersten vollständigen Ausgabe Luthers Bibel. Es gibt nicht nur Shop in Shop, es gibt auch Text in Text.

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