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Mittwoch, 13. März 2019
Wort für Wort I
kuehnesmallworld, 13:12h
Mit Klemperer in die Vergangenheit:
Die Autorität Klemperers kommt daher, dass er diese Sprache selbst – und zwar 12 Jahre lang erlitten und erlebt hat.
Als eines der drei ersten Wörter nazistisch nennt Klemperer das Wort „Strafexpedition“, ein Import aus der kolonialen, vornationalistischen Vorstellungswelt Deutsch-Afrikas in die unmittelbare Gegenwart und Nachbarschaft mit Kommunisten und Juden (55). Das Wort kommt eher harmlos daher, „Strafe muss sein“. Es bekommt seine Bedeutung durch die Gegenwart.
Das zweite Wort ist „Staatsakt“, auch zunächst unverdächtig, es bekommt seine Aufladung durch ständigen Gebrauch sowie das Aufblasen von Lügen und Symbolpolitik ins Hochoffizielle (56).
In Verbindung mit "Akt" kommt das dritte Wort nicht weniger unauffällig daher: „Aufziehen“. Es passt gut zu „Vorstellung“ aber weniger gut zu „wissenschaftlich aufgezogener“ Forschung, ebenso wie zur „aufgezogenen“ Erziehung. Es hört sich an, als käme man aus dem Gefängnis des Organisierten, Hergestellten garnicht mehr heraus (58 ff.).
Klemperer zieht eine erste Bilanz und verweist auf das Mechanische in der Vorstellungswelt dieser Sprache (59, 25). „Aufziehen“ erinnert ja nicht von Ungefähr an ein Räderwerk.
Benutzten die Nazis das Wort „Aufziehen“, sprechen wir in der digitalen Gegenwart gern vom „Funktionieren“. Das Nervensystem „funktioniert“, die Story „funktioniert“, und was sonst so alles funktioniert oder nicht funktioniert. Funktionieren ist bereits eine Abstraktion, man sieht ja sehr oft gar nicht, was da funktioniert, man sieht nur, dass es funktioniert. Wie es funktioniert ist oft unsichtbar wie die digitale Technik.
Wenn wir heute den Sprach-Tabu-Brüchen von rechts nachsinnen, sollten wir wissen, dass die ersten Sprachvorboten nicht brutal, gewaltsam und schockierend daherkamen, sondern unmerklich und unerkannt, eher unpassend einsickerten, es war die Zeit, die Gegenwart, die sie „aufzog“.
Mit Welzer in die Zukunft mit Zwischenstopp in der Gegenwart:
Welzer trifft mitten in der Zukunftseuphorie auf sprachpolizeiliche „totalitäre“ Aktionen (an anderer Stelle „stalinistische“), etwa, wenn ein Gedicht von Eugen Gomringer, das Strassen und Frauen in einem Vers sich begegnen lässt gelöscht werden muss oder wenn der Begriff „Standpunkt“ auf den Index kommt, weil es ja Menschen diskriminiere, die nicht stehen könnten (177 f.).
Wie haben wir das geschafft, auf dem Weg zur Digitalen Gesellschaft 10.0 flugs in der diktatorischen Vergangenheit zu landen?
Wir haben uns Vorstellungen, Assoziationen verboten, treten als Zensor im Namen unserer Sprachreinheit und Correctness auf.
So weit her ist es also mit dem Fortschritt, der unvermeidlich auf uns zukommt.
Die Autorität Klemperers kommt daher, dass er diese Sprache selbst – und zwar 12 Jahre lang erlitten und erlebt hat.
Als eines der drei ersten Wörter nazistisch nennt Klemperer das Wort „Strafexpedition“, ein Import aus der kolonialen, vornationalistischen Vorstellungswelt Deutsch-Afrikas in die unmittelbare Gegenwart und Nachbarschaft mit Kommunisten und Juden (55). Das Wort kommt eher harmlos daher, „Strafe muss sein“. Es bekommt seine Bedeutung durch die Gegenwart.
Das zweite Wort ist „Staatsakt“, auch zunächst unverdächtig, es bekommt seine Aufladung durch ständigen Gebrauch sowie das Aufblasen von Lügen und Symbolpolitik ins Hochoffizielle (56).
In Verbindung mit "Akt" kommt das dritte Wort nicht weniger unauffällig daher: „Aufziehen“. Es passt gut zu „Vorstellung“ aber weniger gut zu „wissenschaftlich aufgezogener“ Forschung, ebenso wie zur „aufgezogenen“ Erziehung. Es hört sich an, als käme man aus dem Gefängnis des Organisierten, Hergestellten garnicht mehr heraus (58 ff.).
Klemperer zieht eine erste Bilanz und verweist auf das Mechanische in der Vorstellungswelt dieser Sprache (59, 25). „Aufziehen“ erinnert ja nicht von Ungefähr an ein Räderwerk.
Benutzten die Nazis das Wort „Aufziehen“, sprechen wir in der digitalen Gegenwart gern vom „Funktionieren“. Das Nervensystem „funktioniert“, die Story „funktioniert“, und was sonst so alles funktioniert oder nicht funktioniert. Funktionieren ist bereits eine Abstraktion, man sieht ja sehr oft gar nicht, was da funktioniert, man sieht nur, dass es funktioniert. Wie es funktioniert ist oft unsichtbar wie die digitale Technik.
Wenn wir heute den Sprach-Tabu-Brüchen von rechts nachsinnen, sollten wir wissen, dass die ersten Sprachvorboten nicht brutal, gewaltsam und schockierend daherkamen, sondern unmerklich und unerkannt, eher unpassend einsickerten, es war die Zeit, die Gegenwart, die sie „aufzog“.
Mit Welzer in die Zukunft mit Zwischenstopp in der Gegenwart:
Welzer trifft mitten in der Zukunftseuphorie auf sprachpolizeiliche „totalitäre“ Aktionen (an anderer Stelle „stalinistische“), etwa, wenn ein Gedicht von Eugen Gomringer, das Strassen und Frauen in einem Vers sich begegnen lässt gelöscht werden muss oder wenn der Begriff „Standpunkt“ auf den Index kommt, weil es ja Menschen diskriminiere, die nicht stehen könnten (177 f.).
Wie haben wir das geschafft, auf dem Weg zur Digitalen Gesellschaft 10.0 flugs in der diktatorischen Vergangenheit zu landen?
Wir haben uns Vorstellungen, Assoziationen verboten, treten als Zensor im Namen unserer Sprachreinheit und Correctness auf.
So weit her ist es also mit dem Fortschritt, der unvermeidlich auf uns zukommt.
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Montag, 11. März 2019
Es kreuzt sich
kuehnesmallworld, 16:59h
Kommunikation heisst der Ort, an dem sich fuer mich zwei Wege kreuzen.
1. Der in die Vergangenheit und da spricht Viktor Klemperer zu mir. Aus seinem Buch LTI ueber die Sprache des 3. Reiches (tertium). Klempererer spricht 1946 als Ertragender, der diese Sprache 12 Jahre aushalten musste.
2. Der in die Zukunft, aus der Harald Welzer in die Gegenwart spricht, der Zukunft der Sprachpolizei, die sich versteigt, Ausdrücke wie Standpunkt zu zensieren, weil dieser Leute, die nicht stehen können, diskreditiere.
Man wird mir demnächst begegnen können an diesem Ort. Hier.
1. Der in die Vergangenheit und da spricht Viktor Klemperer zu mir. Aus seinem Buch LTI ueber die Sprache des 3. Reiches (tertium). Klempererer spricht 1946 als Ertragender, der diese Sprache 12 Jahre aushalten musste.
2. Der in die Zukunft, aus der Harald Welzer in die Gegenwart spricht, der Zukunft der Sprachpolizei, die sich versteigt, Ausdrücke wie Standpunkt zu zensieren, weil dieser Leute, die nicht stehen können, diskreditiere.
Man wird mir demnächst begegnen können an diesem Ort. Hier.
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Freitag, 8. März 2019
Durchblick bekommen,
kuehnesmallworld, 11:10h
durchzublicken durch widersprüchliche Phänomene und Ausdrucksformen, durchzublicken auf den Grund der Dinge, die im offensichtlichen Widerspruch zur aktuellen Wahrnehmung stehen.Ein Beispiel:
Der Soziologe Norbert Elias (20. Jahrhundert) sieht ein Hinter-die-Kulisse-Verlegens der Scham und der Schamgrenzen, was zur Zunahme von Sublimierung und Schamhaftigkeit fuehrt,
während sein damaliger Kontrahent Hans Peter Dürr (20./21. Jahrhundert) mit Blick auf Naturvölker von (partiellen) Modellen sich erhaltener und verbreitender Schamlosigkeit ausgeht.
Was denn nun? Wer älter wird, neigt sowieso zu letzterem, weil, was er sieht, dem widerspricht, was er gelernt hat. Alles wird anders, wenn nicht besser. Es braucht Durchblick, um durch Gefühl und Trend hindurch, Entwicklungen zu sehen.
Gretchenfrage: In Zukunft also mehr oder weniger Kontrolle?
Es fällt auf, dass wir Gesetze haben, die offen nicht befolgt werden (CO2-Ausstoss, Datenschutz) und im Einklang stehen mit einer gewissen Regelungswut in allen Bereichen unseres Lebens.
Also: Brauchen wir mehr oder weniger Gesetze?
Der Durchblicker sagt: Mehr derselben ist angesichts der Zunahme des Regelungsbedarfs und der Regelungsbeduerftigen eine Sackgasse, die nicht weiterführt.
Mein Schluss: Weniger aber einschneidende (nicht: drakonische) Gesetze.
So einen unbequemen Durchblick, der die Symptome und Erscheinungen durchblickt, benötigen wir. Wird denn wirklich alles besser und fortschrittlicher? Der Soziologe Harald Welzer wagt die These: Nein.
Allein dies Wagnis vermag unserem Denken eine andere Richtung zu geben. Kann die Gegenrichtung gedacht werden, ergeben sich ganz andere Hypothesen und Folgerungen:
Noch ein Beispiel: Automatisierung bedeutet nach Welzer nichts weniger als Verarmung: Aus den vielen verschiedenen Facetten des Erlebens und Anschauung wird ein (viereckiger) Bildschirm, auf dem sich vor dem allermeist sitzenden User abstrahierte, wenn nicht gleich virtuelle Realitäten abspielen.
Die Verarmungsfährte lässt selbst buntige Fortschrittspropheten auf dem Fusse kehrt machen. Der Treck ist nicht ohne Gefahren: Prompt gesellen sich Esoteriker und Naturphilosophen zu einem. Aber der Grundgedanke strotzt nur so von Rationalität.
Nach einer sich libertär gebenden Zeit des anything goes scheint nun die Lust an der normativen Zeit durchzubrechen. Dahinter aber kann man schon Umrisse des Kommenden erahnen: Das Pendel schlägt zurueck sagen die einen, die laengst ueberfaellige Selbststeuerung gewinnt die Oberhand hoffen die anderen.
Über allem steht die Frage:
Wie kann man verhindern, dass wir nach zwei Massendiktaturen der faschistischen wie der kommunistischen Manier wiederum in einer nun Digitale Diktatur landen?
Welzer zitiert zum guten Schluss in seinem neuesten Buch (Alles könnte anders sein, 2019) Norbert Elias zum aus verschiedenen Komponenten (sozial politisch, historisch, persönlich usw.) gefügten Zeitbegriff, um uns auch diesen Zahn unserer Zeit als quasi vorgegebenen Tatbestand zu ziehen.
Der Soziologe Norbert Elias (20. Jahrhundert) sieht ein Hinter-die-Kulisse-Verlegens der Scham und der Schamgrenzen, was zur Zunahme von Sublimierung und Schamhaftigkeit fuehrt,
während sein damaliger Kontrahent Hans Peter Dürr (20./21. Jahrhundert) mit Blick auf Naturvölker von (partiellen) Modellen sich erhaltener und verbreitender Schamlosigkeit ausgeht.
Was denn nun? Wer älter wird, neigt sowieso zu letzterem, weil, was er sieht, dem widerspricht, was er gelernt hat. Alles wird anders, wenn nicht besser. Es braucht Durchblick, um durch Gefühl und Trend hindurch, Entwicklungen zu sehen.
Gretchenfrage: In Zukunft also mehr oder weniger Kontrolle?
Es fällt auf, dass wir Gesetze haben, die offen nicht befolgt werden (CO2-Ausstoss, Datenschutz) und im Einklang stehen mit einer gewissen Regelungswut in allen Bereichen unseres Lebens.
Also: Brauchen wir mehr oder weniger Gesetze?
Der Durchblicker sagt: Mehr derselben ist angesichts der Zunahme des Regelungsbedarfs und der Regelungsbeduerftigen eine Sackgasse, die nicht weiterführt.
Mein Schluss: Weniger aber einschneidende (nicht: drakonische) Gesetze.
So einen unbequemen Durchblick, der die Symptome und Erscheinungen durchblickt, benötigen wir. Wird denn wirklich alles besser und fortschrittlicher? Der Soziologe Harald Welzer wagt die These: Nein.
Allein dies Wagnis vermag unserem Denken eine andere Richtung zu geben. Kann die Gegenrichtung gedacht werden, ergeben sich ganz andere Hypothesen und Folgerungen:
Noch ein Beispiel: Automatisierung bedeutet nach Welzer nichts weniger als Verarmung: Aus den vielen verschiedenen Facetten des Erlebens und Anschauung wird ein (viereckiger) Bildschirm, auf dem sich vor dem allermeist sitzenden User abstrahierte, wenn nicht gleich virtuelle Realitäten abspielen.
Die Verarmungsfährte lässt selbst buntige Fortschrittspropheten auf dem Fusse kehrt machen. Der Treck ist nicht ohne Gefahren: Prompt gesellen sich Esoteriker und Naturphilosophen zu einem. Aber der Grundgedanke strotzt nur so von Rationalität.
Nach einer sich libertär gebenden Zeit des anything goes scheint nun die Lust an der normativen Zeit durchzubrechen. Dahinter aber kann man schon Umrisse des Kommenden erahnen: Das Pendel schlägt zurueck sagen die einen, die laengst ueberfaellige Selbststeuerung gewinnt die Oberhand hoffen die anderen.
Über allem steht die Frage:
Wie kann man verhindern, dass wir nach zwei Massendiktaturen der faschistischen wie der kommunistischen Manier wiederum in einer nun Digitale Diktatur landen?
Welzer zitiert zum guten Schluss in seinem neuesten Buch (Alles könnte anders sein, 2019) Norbert Elias zum aus verschiedenen Komponenten (sozial politisch, historisch, persönlich usw.) gefügten Zeitbegriff, um uns auch diesen Zahn unserer Zeit als quasi vorgegebenen Tatbestand zu ziehen.
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