Montag, 7. März 2022
Künstler sein
Mein Ding ist das Zoomen vom aktuellen Eindruck in meine Seelengründe und zurück. Wie von meinem Namensvetter Jean-Paul exemplarisch vorgeführt. Vergleichbar am ehesten mit einem Film, einem Comic vielleicht, in dem der Blick vom Dach des Hauses (durch den Kamin) bis ins Wohnzimmer fällt und sich dann plötzlich mitten im Gemenge, Getümmel, Gedränge wiederfindet (damit hätten wir das Komische mit dem Ernsten gemischt).

Analog dazu: Der Film im Kopf, der einen Rückblick scrollt, im Zeitmassstab meines Lebens zunaechst. Da kann ich vergleichen, in Beziehung setzen. Unverständlich ist es, dass dieser erste Einordnungs- und Vergleichsblick heute zumeist unterbleibt. Beispiel: Alles redet von der Ukraine, aber kaum jemand von Belarus, das doch einer der Auslöser der Eskalation war.

Dieser vergleichende Blick aber vergegenwärtigt mir gleichfalls in Schnappschüssen? meine damaligen Einstellung, meine damalige Sichtweise. Wichtig daran: der Blick muss beiläufig sein, sich durch die Einstellung vermitteln. Werde ich zur Hauptsache der Betrachtung, greifen gleich alle möglichen anderen Blickwinkel, Argumentationen und Rechtfertigungen: Ich relativiere.

Es war eben von der Zeit die Rede (Zeitmassstab). ?Aber seine (Lubitsch JPK) Einstellung zum Film, zur Komödie und zum Leben war seiner Zeit nicht so sehr voraus, sondern einzigartig und völlig aus der Zeit gefallen? (S.Eyman über Ernst Lubitsch: Lubitsch berühren in Ernst Lubitsch auf Wiki).

Gefallen ist gut: Lubitsch ist Sohn des Schneidermeisters und Textilhändlers Simcha (Simon) Lubitsch und der Modedesignerin Anna Lindenstaedt, die für das Modehaus, das sie zusammen betreiben, die Kollektionen entwirft. Der Vater, Sohn polnischer Juden aus Galizien, kam aus Wilna/Vilnius, das seit 1795 russisch war, nach Berlin. Er behielt seine Staatsangehörigkeit (Website: Deutsche und Polen). Die Mutter aus Brandenburg. Zwei Kulturen, die jüdische und die deutsche, mehrere Orte und dann Amerika.
Die Nicht-Simultanität zwischen Ort und Kultur: Quelle des besonderes kreativen Komödianten, der nicht zuzuordnen ist.

?In einem der schönsten Beispiele für den Lubitsch-Touch, ?Trouble in Pa￾radise" von 1932, wird dem Zuschauer ein Gauner-Pärchen glaubhaft als höchst ehrenwert vorge￾stellt, bis Lubitsch den Zuschauer aus anderer Per￾spektive hinter die Kulissen blicken läßt. Konse￾quent wird der falsche Schein zerstört und vorge￾führt, wie riskant es sein kann, sein Urteil über Menschen lediglich von einem einzigen Blickwin￾kel - in diesem Fall von der in die Irre führenden Wertschätzung erlesener Gewänder und Manieren - abhängig zu machen.? (Jürgen Müller, Thomas Hensel: Das Exlibris Ernst Lubitschs in: Fotogeschichte 1997) Die Wirklichkeit wird mehrfach gebrochen und verschachtelt. Übrig bleibt die subjektive Perspektive.

Der Film-Komödiant Ernst Lubitsch wird für mich zum Leitbild nicht Vorbild) des Künstlers. Kunst als aus der Zeit-gefallen-sein. Aus dem Ort sowieso. Der Verfasser der Strudlhofstiege, Heimito von Doderer, stammte aus dem Schwäbischen, Stuttgart, gilt aber als österreichischer Autor. Die Brüche, das Fremde, das Dazugehoeren-Wollen findet sich im Werk wieder. Mosebach hat auf diese Doppel-Ort-Thematik hingewiesen. Für die eigene Fremdheit ist bei Mosebach dadurch gesorgt, dass er Sohn eines Psychiaters ist. Er wuchs in einem Käfer auf (wie ich) mit dem an Sylvester, wie er beschrieb, der Grosse Feldberg bereist wurde, in der Nähe meines dritten Lebensorts.

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