Dienstag, 13. April 2021
Vom Ursprung der Disruption in der Kreation
Jean-Michel Jarre ist sehr enttäuscht über uns Deutsche und macht sich Luft über das neue Urheberrecht (SZ 10./11.04.21.):

Ich kenn Jean-Michel Jarre schon seit 35 ? 40 Jahren. Ich bin nie auf die Idee gekommen, er stütze sich auf viele Vorbilder (evtl., weil die Harmonien oder Tonfolgen so parzelliert sind).

Die Frage an Jarre: Viele Künstler arbeiten mit Samples, also ?mit Fragmenten aus bereits existierenden Aufnahmen?.

Die Antwort: ?Ich arbeite ? anders. Ich sehe Ich sehe das Ganze ohnehin universeller. Wenn sie mir die etwas pathetisch klingenden Worte verzeihen.Künstler sampeln das Leben. In meinem Herzen habe ich Miles Davis und Claude Debussy gesammelt, Salvador Dali, Werner Herzog, Stanley Kubrick, genau in den Momenten, in denen mich ihre Kunstwerke berührt und verdattert haben. Sie sind alle in meiner Musik präsent, auch ohne direkte Zitate.?

Dann plädiert er, wohl zum Ausgleich, das Urheberrecht zu verewigen, Zeitlimits aufzuheben. So ist es also in uns drin, als Gesamtkunstwerk. Uns selbst oft garnicht bewusst. Aber Quelle steter Inspiration und Kreativität. Man hat einfach viel zu kombinieren und zu experimentieren. Diese Kreativität ist der Fundus für die Disruption, es einfach anders zu machen, Funktionen ins Gegenteil zu verkehren oder auch mal garnicht zu beachten.

Kunst und Disruption sind zwei Seiten einer Medaille. Die Kunst ist deswegen dazu so geeignet, weil sie spielerisch funktionale Grenzen überspringt und uns damit anregt und inspiriert.

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Disruptive Innovation /technisch (Fortsetzung)
Disruptive Innovation: (andere Beispiele weiter oben im Blog)

Da ist das technische Beispiel. Mit freundlicher Unterstützung der SZ vom 30./31. April 2021 Andrea Schubert: Liegerad und Rollstuhl zugleich.

Der Rollstuhl ist ein Zweirad, das Liegerad ein Dreirad. Worin liegt denn nun die Innovation, geschweige denn die Disruption? Im 3. Rad? Nein, im Denken. Das (fehlende) Rad entscheidet über die Disruption, den Bruch. Ohne das 3. Rad kein Fahrrad. Das 3. Rad ist ein Überbleibsel der seriell hintereinander angeordneten Räder, die das Fahrrad zum Fahrrad macht. Fällt es weg, ist es kein Fahrrad mehr, sondern ein Stuhl. Es bleiben zwei parallel angeordnete Räder ? dem Stuhl näher als dem Fahrrad ? ein Rollstuhl also.

Disruptiv an der Idee des Münchner Ingenieurs ist, den Rollstuhl mit dem Liegerad zu verbinden, und zwar in einer Form, in der beides getrennt voneinander verwendbar ist. Das gab es schon: Z.B. als Dreirad mit Hand- statt Fussantrieb oder motorisiert, bspw. als Trike (auch das ist wegen der 3 Räder schon ziemlich behindertengerecht). Die Disruption liegt in der Funktion. Das Sitzen für eine kleinräumige Mobilität ist dem Stuhl näher (es gibt sogar ?Roll?stühle, die das Stehen erlauben). Die Disruption liegt also in der Kombination oder Trennung der Funktionen. An dieser Stelle kommt die (technische) Innovation ins Spiel. Sie ist vergleichsweise klein: Das Vorderrad ist mit der Antriebskurbel ab- und anzukoppeln und der Rollstuhl in Sitz- oder Fahrposition bringen. Die Disruption liegt genauer im Denken, noch genauer im Zusammendenken von Funktionen, das es schliesslich auch erlaubt, die Funktionen getrennt zu denken.

Eins hätte ich fast vergessen: Unser Bedürfnis nach Autonomie. Das ist der Treiber. Es ist ein sehr zeitgemäßer, sozialer Treiber, der auch erklärt, warum wir nicht früher drauf gekommen sind und es eine wirkliche Disruption gebraucht hat.

Alters-, bewegungsgeleitete disruptive Innovationen dürften nämlich zukünftig vermehrt auftauchen.

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