Montag, 16. Februar 2015
Montag, 16. Februar 2015
Psychoneurologische Grundlagen der (Un-) Ordnung:
Die jüngsten Erkenntnisse der Neurowissenschaften werfen auch ein neues Licht auf das, was wir Ordnung oder Unordnung nennen, finde ich jedenfalls.

Unordnung ist gewachsen, sie entsteht, Ordnung dagegen wird geschaffen. Unordnung spiegelt das Leben, das Hin- und Her, auch das Chaos wider, alles, was sich noch nicht als eindeutige Tendenz, Trend herauskristallisiert hat. An der Unordnung ist die Entwicklung, die Entstehung ables bar. Unter Ordnung dagegen wird allzuleicht und oberflächlich das Durchsetzen eines Prinzips verstanden (Bücher geordnet, Vorgänge im Ablagesystem archiviert, Schreibtisch "aufgeräumt" usw.). Die Prinzipien sind oft anderen Bereichen entlehnt, wie das Prinzip der wirtschaftlichen Effizienz, des schnellen Zugriffs, oder das Prinzip übergeordneter philosophischer Kategorien (Chronologien, Sinn).

Aber entsprechen diese Ordnungen überhaupt der psychoneurologischen Struktur unseres Gehirns, muss ich mich angesichts meines Schreibtisches sehr wohl fragen. Sollte das Kurzzeitgedächtnis tatsächlich so total herrschen? Sollte es das Langzeitgedächtnis und die emotionale Zuordnung tatsächlich so dominieren? Sagt ene Staubschicht nicht viel mehr über das tatsächliche Beansprucht-werden durch aktuelle Aufgaben aus. als die perfekteste Ablage? Sollten wir nicht auch andere Aspekte unseses Lebens im Blick behalten, wie bspw. den ein Jahr alten Prospekt eines Besuchs im Museums, auch wenn wir ihn nicht wieder zur Hand genommen haben? Und: Bringt nicht gerade der Vorgang des Suchens immer wieder neue Klarheit darüber, was gerade jetzt erforderlich ist und was andererseits jetzt zurücktreten muss aber doch in Reichweite bleibt?

Kurz: Eine organische Ordnung macht Prioritäten sichtbar, macht deutlich, dass diese sich täglich, ja möglicherweise stündlich ändern. Prioritäten, die unseren Blick auf die Dinge und damit unser Verständnis, was Ordnung und Unordnung ist, permanent ändern. Ist nicht neuropsychologisch gesehen, die kreativ-produktive Leistung unseres Gehirns gerade das Suchen. Das Gehirn sucht ständig. Ist es übertrieben zu sagen, gerade das Suchen ist seine Aufgabe. Verbindungen schaffen, Zuordnungen vornehmen, ist die Aufgabe unserer Nervenzellen, sich immer neu zu Ordnungen und Gedächtnissen verbinden. Ordnung und Gedächtnis wären dann nur andere Bezeichnungen für Sinn. Abstrakte, fremde Ordnungssysteme stören diesen Prozess nur. Gewinnen wir neuen Respekt vor den Leistungen des Gehirns. Es ahnt, ja weiss: Da steckt etwas in diesem Stapel, was du brauchen könntest, jetzt, in diesem Moment.

Noch etwas: Aufkeimende Hoffnung wechselt ab mit Anwandlungen von Verzweiflung, entspannendes Lachen über die Vergeblichkeit und Komik menschlichen Tuns mit existentieller Anspannung. Wo eben noch distanzschaffende Komik war, herrscht jetzt allesbeanspruchender Ernst. Oder ist beides garnicht so voneinander getrennt und unterschieden, wie wir uns gern einbilden? Denn auch das leistet unser Gehirn, ohne dass es einer bestimmten Aufforderung bedarf: Den Wechsel, den switch, zwischen dem kritischen und dem mal humorigen Blick auf sich selbst.

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