Dienstag, 2. Januar 2018
Mach Unterschiede, fang mit dem Wort an
"Da sich Kompetenzen und Hintergründe von
Kommunikationspartnern unterscheiden, sind die
Bedeutungen sprachlicher Äusserungen nicht eindeutig."
(Grimm/Delfmann: Digitale Kommunikation 2. Aufl.
2017, S. 77)

Das wichtigste Wort in diesem Satz ist "Unterschied".
Und dieser Unterschied führt uns auf die Spur des
Unterschieds als Schlüssel zum Verständnis und zum
Verstehen digitaler Kommunikation, viel schneller als
alle Sinnschneisen, die SEO und SEA ins Wortdickicht
schlagen. Aber der Reihe nach:

Zunächst schauen wir uns an, was die digitale
Kommunikation mit dem Wort "Unterschied" anfängt.
Nämlich garnichts. Es verhält sich wie zwischen Stecker
und Steckdose. Gibt es keinen Stecker oder keine Dose,
gibt es die Verbindung garnicht, kommt Kommunikation
überhaupt nicht zustande, d.h. diese Wirklichkeit gibt
es nicht, d.h. sie entfällt, d.h. sie ist weg.

Digitale Kommunikation hat es nicht mit Unterschieden,
sondern mit Teilmengen zu tun, die wiederum in
grösseren Mengen enthalten sind. Diese werden durch
den Algoritmus aufgefunden. Schon ganz zu Anfang
der Computerisierung war das so: Wir konnten uns
zwischen einem Serienbrief und einem hochgradig
personalisiertem Schreiben entscheiden. Der Computer
machte durch Standardisierung und Automatisierung
beides möglich. Wir entschieden uns signifikant öfter
für die Serie. Das Schreibprogramm merkte sich die
Worte, die wir getippt hatten und schlug sie uns immer
wieder vor. Dabei wimmelt es heute nur so von Pilot-
Projekten und Einzelanfertigungen, zu denen wir ohne
Computer nie gekommen wären.

Was im Wort an Unterschieden, Meinungsunterschieden,
historischem Bedeutungswandel steckt, interessiert den
Computer herzlich wenig - ausser Sie haben einen
Buchstaben zu viel oder zu wenig. Da kann er sie in
weit entfernte Gefilde locken, die mit ihrer Suche rein
garnichts mehr zu tun haben. Dagegen viel mit
medialen und wirtschaftlichen Gefilden, in denen sich
das gesuchte Wort häuft. Was sich nicht häuft, ist weg.

Statt nach der Häufigkeit zu suchen, sollten wir nach
Unterschieden suchen. Dann nämlich, wenn wir z.B.
Firmen mit einer ganz speziellen Ausrichtung suchen.
Also gut: Wir suchen zuerst nach allgemeineren
Kriterien wie Branchen oder Werkstoffen. Dann aber
wechseln wir zur qualitativen Suche, unterscheiden z.B.
nach wichtigen Unterschieden zwischen bestimmten
Verfahren und Werkstoffen. Und was finden wir?
Unterschiede über Unterschiede! Und der gleiche
Computer, der mich vordem nur Gleiches in Gleichem
hat finden lassen, versetzt mich nun in die Lage, im
Einzelnen zu vergleichen und zu unterscheiden.

Mit der Suche nach den Unterschieden sind wir auf der
Spur von Descartes oder auch der "Dekonstruktion"
des Wortes durch Jacques Derrida. Descartes ging es um
die Räume und die Zwischenräume. Zeit und Raum
werden gebraucht, um die Unterschiede zwischen den
Gestalten wahrzunehmen. Descartes "Ich zweifle, also
bin ich" ist der Gipfel dieser vergleichenden und
unterscheidenden Rationalität. Ich ist letzte Instanz.

Dazu:
-Ulrike Ramming: Mit den Worten rechnen. 2015 S. 60
-Görz/Nebel: Künstliche Intelligenz, 2015
-T.C. Bächle: Mythos Algorithmus, 2014 S. 36

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